Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Dictionary Entry 1989

Psychologie, topologische

1989.08

@SciHist

5 / 6KB  Last revised 98.11.05

In: Joachim Ritter & Karlfried Gründer (Eds., 1989) Historisches Wörterbuch der Philosophie. 7. Basel-Stuttgart, Schwabe. Pp. 1669-1670 (geschrieben 1983)

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Topologische und Vektor-Psychologie sind von Kurt LEWIN in den dreissiger Jahren eingeführte Teile einer theoretischen "Dynamischen Psychologie". Die den "Untersuchungen zur Affekt- und Handlungspsychologie" (1) zugrundeliegenden und wesentlich in der Gestalttheorie fundierten Ideen sollen systematisiert und formalisiert werden. Die t.P. beeinhaltet den neuartigen Vorschlag, grundlegende psychologische Sachverhalte in nichtmetrischer Mathematisierung zu beschreiben (2). Lewin übernahm begriffliche Elemente der mathematischen Topologie für die Beschreibung psychologischer Felder zu einer bestimmten Zeit (vgl. Lebensraum). Psychologische Gegebenheiten sind dabei als einander ein- bzw. ausschliessende "Regionen" oder "Bereiche" repräsentiert. Die t.P. befasst sich v.a. mit der Beschreibung der psychologischen Umwelt: sie definiert "Bereiche" und "Grenzen" sowie Beziehungen (hierarchische, des Ein- und Ausschlusses) zwischen diesen, und sie beschreibt die zwischen den Bereichen möglichen "Lokomotionen". Ein psychologischer Zustand oder eine Tätigkeit werden als das In-einem-bestimmten-Bereich-Sein der psychologischen Person repräsentiert, das Verhalten, das Handeln, die Entwicklung als "Lokomotion" der psychologischen Person durch die Regionen. Für die Beschreibung des Geschehens im psychologischen "Raum" erweiterte Lewin den Ansatz durch einen speziellen Richtungs- bzw. Zielbegriff zur hodologischen Psychologie (3) und durch die Einführung eines psychologischen "Kraftbegriffes" zur Vektorpsychologie (4). Als eingänglichste Demonstrationen dieses Beschreibungsverfahrens können die Untersuchungen zur "psychologischen Situation bei Lohn und Strafe" und die Analyse der "Umweltkräfte in Verhalten und Entwicklung des Kindes" gelten (5).

Von zentraler Bedeutung ist die These Lewins, dass die psychologischen Eigenschaften der handelnden Person und die psychologisch relevanten Sachverhalte aus der Umwelt dieser Person mit den gleichen begrifflichen Instrumenten behandelt werden müssten (vgl. Ökologie, psych.). In der t.P des Lebensraums ist die psychologische Person einem Massenpunkt vergleichbar, der sich im Lebensraum bewegt, wobei es zu Änderungen in der Struktur des Lebensraums kommt. Anderseits ist die psychologische Person ihrerseits eine topologisch differenzierte Region, deren Differenziertheit und Integriertheit in bezug auf die psychologische Umwelt gesehen werden müssen (6).

T.P. kann als mittlerer "Approximationsschritt" oder Vorstufe zu der von Lewin und seinen Schülern vorwiegend als "Feldtheorie" bezeichneten psychologischen Theorie verstanden werden (7). Die Bewertung der t.P. ist kontrovers. Während sie von Vielen als blosses Begriffsspiel übersehen wird, halten Andere sie für einen epochalen Versuch der Begründung einer theoretischen Psychologie. Allerdings ist sie weder begrifflich noch empirisch vollständig durchgeführt.

 

Anmerkungen: (1) Vorsatz, Wille und Bedürfnis, mit Vorbemerkungen über die psychischen Kräfte und Energien und die Struktur der Seele (Untersuchungen zur Handlungs- und Affektpsychologie I und II). Psychol.Forsch.7(1926)294-385; mehrheitlich in derselben Zeitschrift erschienen bis 1935 die unter Lewins Leitung entstandenen Berliner Dissertationen; vgl. auch S.de RIVERA: Field Theory as Human-Science. (New York, 1976). LEWINs Gesamtwerk in deutscher Sprache ist jetzt zugänglich in der in Bern und Stuttgart von C.F. GRAUMANN u.a. herausgegebenen "Kurt-Lewin-Werkausgbe" (1981ff, 7 Bände). - (2) K. LEWIN: Principles of Topological Psychology. (New York, 1936; deutsch Bern, 1969) - (3) K. LEWIN: Der Richtungsbegriff in der Psychologie: der spezielle und allgemeine hodologische Raum. Psychol.Forsch. 19(1934)249-299. - (4) K. LEWIN: The conceptual representation and the measurement of psychological forces. Contr.Psychol.Theory I (4) (Durham N., 1938). - (5) beide Arbeiten original 1931; Nachdruck in Band 6 der Kurt-Lewin-Werkausgabe (Bern und Stuttgart, 1982). - (6) K. LEWIN: Behavior and development as a function of the total situation. In: CARMICHAEL (Hg.):Manual of Child Psychol. (New York, 1946). dt. in K-W-L Band 6. - (7) vgl. etwa D. CARTWRIGHT: Lewinian theory as a contemporary systematic framework, in: S. KOCH (Hg.): Psychol., a study of a science. (New York, 1959) oder C.F. GRAUMANN: Einführung in Band 4 der Kurt-Lewin-Werkausgabe: Feldtheorie. (Bern und Stuttgart, 1982).

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