Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Bulletin Contribution 1984

Das neue Bundesgesetz über den Schutz von Personendaten wird auch die Tätigkeit der Psychologen betreffen

1984.02

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Bulletin der Schweizer Psychologen (BSP), 1984, 5, 241-246.

© 1998 by Alfred Lang

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Zusammenfassung

Der Verfasser orientiert über die Grundzüge eines geplanten Bundesgesetzes über den Schutz von Personendaten, das zur Zeit in der Vernehmlassung ist. Es bezieht sich auf personenbezogene Datensammlungen privater Personen oder von Bundesorganen, gleichgültig ob in Kartei oder EDV. Besonders schützenswerte Personendaten wie der seelische, geistige oder körperliche Zustand und der persönliche Geheimbereich sollen inskünftig im Sinne eines Grundrechtes einen ähnlichen Schutz geniessen wie der eigene Körper. Der Entwurf stipuliert das Recht auf Einsicht in die einen selbst betreffenden Daten einer Datensammlung. Einige Detailfragen betreffend psychologische Daten werden aufgeworfen. Insgesamt glaubt der Verfasser, dass der Entwurf positiv beurteilt werden kann, da er in allen wesentlichen Dingen mit der heute anerkannten Berufsethik der Psychologen übereinstimmt.


Im vergangenen Frühjahr ist nach langjähriger Vorarbeit ein Entwurf zu einem neuen Bundesgesetz über den Datenschutz in die Vernehmlassung gegangen. Trotz der beträchtlichen und nicht übersehbaren Relevanz dieser Materie für Psychologen sind keine Psychologenverbände in die Vernehmlassung einbezogen worden. Dieser Nicht-Existenz der Psychologen aus der Sicht der Behörden scheint allerdings ein Desinteresse am Gesetz von Seiten der Psychologen zu korrespondieren, hat sich doch bisher nach Auskunft des Dienstes für Datenschutz im Eidg.Justiz- und Polizeidepartement (Bundesrain 20, 3003 BERN, Tel. 031 64 41 11) auch kein Psychologenverband von sich aus in die Vernehmlassung eingeschaltet. Und dies obwohl zwei Psychologen in einer vorbereitenden Arbeitsgruppe mitgearbeitet haben.

Im folgenden möchte ich deshalb eine knappe Übersicht über Inhalt und Tendenz des Gesetzesentwurfs geben und dabei die mutmasslichen Konsequenzen für psychologische Tätigkeiten besonders hervorheben. Allgemein scheint mir, das Gesetz - übersteht es die Vernehmlassung und wird es so oder ähnlich vom Gesetzgeber bestätigt - sei geeignet, heutige Misstände im Umgang mit dem Andern zu mildern und das menschliche Zusammenleben im Kommunikationszeitalter nachhaltig zu beeinflussen, mit grosser Wahrscheinlichkeit zu verbessern; allerdings einmal mehr um den Preis einer Ausdehnung staatlicher Macht im privaten Bereich. Dass zugleich das staatliche Handeln im öffentlichen Bereich schärferer Kontrolle unterstellt wird, mag manchem die Zustimmung erleichtern.

Der Gesetzesentwurf hat den Schutz des Menschen vor Beeinträchtigungen zum Ziel, welche er durch Informationstätigkeiten staatlicher Stellen oder privater Personen (auch Institutionen) in seiner Persönlichkeit erleidet. Leitgedanke des Entwurfs ist die Vorstellung, dass es personenbezhogene Information gibt, welche ähnlich wie der eigene Körper, schutzwürdig sind. Eine Verletzung dieses Grundrechts auf die eigene Information kann durch die Bearbeitung, insbesondere das Weitergeben von Information, entstehen. Das Gesetz soll die systematische und auf die Person bezogene Sammlung und Bearbeitung von Daten regeln, und zwar unabhängig von deren Form (Kartei oder EDV). Während die jetzige Gesetzgebung die Rechte der Persönlichkeit erst nach einer Verletzung durch Private schützt (Art. 28 ZGB) und gegen staatliche Übergriffe nur schwache Schranken bestehen, soll durch das neue Gesetz ein präventiver Schutz der "menschlichen Person in ihrer Autonomie, ihrer Individualität und ihrer Würde" (Kommentar S. 52) erreicht werden.

 

Der Entwurf sieht folgende Instrumente zu diesem Ziel vor:

- allgemeine Vorschriften über einen korrekten und rechtmässigen Umgang mit Personendaten;

- Schranken für die Bearbeitung besonders heikler Daten;

- Vorschriften über Sicherungen vor unbefugter Bearbeitung oder vor Verlust;

- Regelungen zur Herstellung von Transparenz der Informationsvorgänge für die betroffenen Personen;

- institutionalisierte interne und externe Kontrollen der Datenbearbeitungen;

- ausgebaute Verfahrensrechte der betroffenen Personen zur Abwehr von Verletzungen und Eingriffen;

- Haftungsregeln für materielle Schädigungen sowie Strafsanktionen bei unlauteren oder bei rechtswidrig verheimlichten Informationstätigkeiten (Kommentar S. 53f.).

 

Am wichtigsten ist wohl die Umschreibung besonders schützenswerter Personendaten in Art. 2 Abs.2 als Angaben über "a) die religiösen, weltanschaulichen, politischen oder gewerkschaftlichen Ansichten oder Betätigungen; b) den seelischen, geistigen oder körperlichen Zustand, den persönlichen Geheimbereich oder die Rassenzugehörigkeit; c) Massnahmen der sozialen Hilfe oder fürsorgerischen Betreuung oder d) eine Strafverfolgung oder -verurteilung". Die wohl interessanteste "Erfindung" der Gesetzesentwerfer ist die Idee der Beweisumkehr: Jedermann ist grundsätzlich frei, eine personenbezogene Datensammlung anzulegen. Enthält sie keine besonders schützenswerte Daten, so muss ein Betroffener, der seine Rechte verletzt sieht, den Beweis einer Verletzung seiner Rechte führen. Enthält sie jedoch schützenswerte Daten, so wird von Gesetzes wegen zunächst vermutet, dass die Persönlichkeit desjenigen, über den solche Daten gesammelt und bearbeitet werden, verletzt ist; damit muss nun der von einem Betroffenen beklagte Datenbearbeiter den Gegenbeweis antreten, dass er entweder keine schützenswerten Daten bearbeitet oder dass durch deren Bearbeitung die Persönlichkeit des Klägers nicht verletzt worden ist.

Damit jedermann seine Rechte wirklich wahrnehmen kann, können Personendaten nur entweder mit der ausdrücklichen Einwilligung der betroffenen Person bzw. im Rahmen von gesetzlichen oder vertraglichen Bestimmungen bearbeitet werden. ]ber Datensammlungen von Bundesorganen wird ein öffentlich zugängliches Register angelegt; eine Datenschutzkommission wird mit der Beaufsichtigung sowohl der öffentlichen wie der privaten Datensammlungen beauftragt. Legt ein Privater eine Sammlung von besonders schützenswerten Personendaten anders als durch Nachfrage bei den betroffenen Personen selber an, so muss er diese Datensammlung ebenfalls bei der Datenschutzkommission registrieren lassen. Entscheidend ist nun das Recht für jedermann, vom Bearbeiter einer Datensmmlung Auskunft zu verlangen, ob Daten über ihn bearbeitet werden, und wenn dies der Fall ist, eine vollständige Auskunft über alle ihn betreffenden Daten zu erhalten. Dem Recht des Betroffenen wird durch Sanktionsandrohungen (Busse, Gefängnis) an den gesetzeswidrig handelnden Inhaber der Datensammlung Nachachtung verschafft. Der Betroffene kann auf Verbot oder Beseitigung der Verletzung, auf Schadenersatz und Genugtuung und sogar vorsorglich auf Vermeidung einer drohenden Verletzung klagen; die Klage kann auch von einem Verband geltend gemacht werden.

Wie in der Gesetzgebung über die Geheimhaltung gibt es natürlich einige Einschränkungen und gewisse Verfahrensvorschriften, die das Ganze überhaupt durchführbar machen. Selbstverständlich erstreckt sich das Gesetz nicht auf rein private Datensammlungen von natürlichen Personen zu ausschliesslich persönlichem Gebrauch. Ausgenommen sind auch die Datensammlungen von Parlament, Bundesrat oder Bundesgericht, für welche eigene Verfahrensregeln bestehen. Als Mangel kann man auch betrachten, dass das Gesetz wegen Fehlens einer Verfassungsgrundlage die Datensammlungen der Kantone und Gemeinden nicht betrifft; doch dürfte es dort Modellcharakter bekommen, wo bisher noch keine Regelungen erlassen wurden.

Anderseits darf festgestellt werden, dass der Entwurf die Interessen der Person sehr weitgehend schützt. Generell wird eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte vermutet, wenn Personendaten zu einem anderen Zweck bearbeitet werden als bekanntgegeben wurde oder aus den Umständen ersichtlich ist. Besondere Sorgfalt ist der Weitergabe von Daten ins Ausland, d.h. unter Verhältnisse mit weniger weitgehenden Datenschutzregelungen, gewidmet. Sogar im Bereich des Staatsschutzes soll das "grundlegende Persönlichkeitsrecht auf Zugang zu den eigenen Daten und auf Abwehr von unrichtigen oder sonst rechtswidrigen Bearbeitungen ... in seinem Kern erhalten bleiben" (Kommentar S. 206); diesem frommen Wunsch des Kommentars werden allerdings die einschlägigen Art. 58 und 59 nur partiell gerecht.

Was die Datensammlung zu Forschungszwecken oder Planungszwecken betrifft, so wird grundsätzlich die Einwilligung der Betroffenen verlangt (bzw. eine gesetzliche Grundlage, etwa für Volkszählungen u.[.); und es wird gefordert, dass die zu einem bestimmten Zweck verfügbar gemachten Personendaten nicht zu anderweitigen Zwecken verwendet werden dürfen. Ferner müssen solche Datensammlungen jeweils zum frühest möglichen Zeitpunkt vernichtet oder anonymisiert werden, und der Inhaber trägt wie bei allen andern Datensammlungen die Verantwortung für die Sicherung der Daten, solange die Datensammlung existiert.

Es ist offensichtlich, dass Psychologen in Forschung und Praxis in hohem Masse mit Daten zu tun haben, welche in die schützenswerte Kategorie fallen. Ohne dass ich mir hierüber jetzt schon ein abschliessendes Urteil erlauben kann, ist mein Eindruck vom Entwurf im wesentlichen ein positiver. Der Entwurf steht mit den heute allgemein von Psychologen vertretenen ethischen Richtlinien im Einklang; er ist geeignet, deren Durchführung zu erleichtern. Mir sind drei Details aufgefallen, die vielleicht differenzierter überdacht werden sollten und die allenfalls Gegenstand einer Vernehmlassungs-Eingabe sein könnten.

Wie schon betont, geht der Entwurf von der Idee aus, dass Personendaten in der Regel bei den Betroffenen selbst zu einem bestimmten Zweck eingeholt werden, wobei der Zweck entweder explizit genannt oder aus dem Kontext offensichtlich sein muss. Durch die Preisgabe der Daten willigt der Betroffene auch in deren weitere Bearbeitung zu diesem Zweck ein. All dies ist bei psychologischen Tätigkeiten in der Regel gewährleistet.

a) Wie steht es aber mit Datenerhebungsmethoden, deren Natur es ist, andere Information, als die offengelegte Bedeutung nahelegt, auszuwerten? Darunter fallen nicht nur alle projektiven Verfahren, sondern z.B. auch die Fragebogen, die nicht nach einem Inhalts-Validitätsprinzip ausgewertet, oder die Träume, die psychologisch interpretiert werden. Nun kann man argumentieren, dass die weitergehende Interpretation solcher Daten mit ihrer Preisgabe an den Psychologen nicht nur in Kauf genommen, sondern geradezu gewünscht wird. Schwächer ist diese Voraussetzung jedoch in Forschungssituationen. Wenn das Gesetz aber den Einsatz solcher Datenerhebungs-Verfahren nicht unter dem Titel "absichtlicher Täuschung" (Art. 8, Abs. 1) verbieten will, so wäre vielleicht eine geeignete Ausnahmeklausel angebracht. Während es hier also um eine Art Zweckausweitung der Datenbearbeitung innerhalb, der betroffenen Person geht, gibt es ähnliche Zweckverschiebung auch zwischen Personen.

b) In der psychologischen Praxis gibt ein Klient in der Regel eigene Personendaten zum Zwecke seines eigenen Vorteils preis. Es wird sich kaum vermeiden lassen, dass der Psychologe seine Datensammlung über den Klienten A bei der Bearbeitung eines Klienten B verwertet. Auch wenn er die Persönlichkeitsrechte von A und von B voll schützt, ist in diesem Fall doch die von A preisgegebene Information zu einem andern Zweck als von A beabsichtigt und zugestanden bearbeitet worden, weshalb A gemäss Entwurf in seinen Rechten verletzt ist. Gewiss wird er in der Regel nicht klagen; aber der Fall eines Interessenkonkfliktes zwischen A und B ist nicht auszuschliessen. Wenn diese Zweckverschiebung zwischen Personen dem Psychologen aber untersagt würde, so wäre seine Handlungsmöglichkeit beträchtlich eingeschränkt.

c) Der Entwurf schweigt sich schliesslich (auch im Kommentar) aus über einen Fall, den man sich gerade in der psychologischen Praxis leicht vorstellen kann, nämlich den Widerruf der Datenbearbeitungszustimmung. Ein Klient übergibt dem Psychologen Personendaten und gibt sich erst später über die Tragweite seiner Informationspreisgabe Rechenschaft; vielleicht hat er die schützenswerte Information in einem besonders hilfebedürftigen Zustand abgegeben oder er erfährt -- trotz rechtzeitiger, aber naturgemäss etwas abstrakter Aufklärung -- erst im Laufe der Interaktion mit dem Psychologen, wie dieser scheinbar harmlose Information weiterverarbeitet. Der Widerruf der Bearbeitungszustimmung muss natürlich aus der Sicht der zu schützenden Person möglich sein; anderseits kann er Forschung und Praxis in einem unzumutbaren Ausmass behindern. Schützenswert ist in einem solchen Fall also auch Treu und Glauben des Datenbearbeiters.

Wie man sieht, betreffen meine Bedenken aber sehr spezielle Details, was wiederum deutlich macht, dass der Entwurf eine sehr sorgfältig bedachte Gesetzesvorlage darstellt. Starke Wirkungen dürften auch von der gleichzeitig vorgesehen Anpassung des Arbeitsvertragsrechts im Obligationenrecht ausgehen, weil hier nicht nur die systematischen personenbezogenen Datensammlungen, sondern auch die Bearbeitung und Weitergabe von Einzelinformationen über eine Person angesprochen sind. So soll ein neuer Art. 328 b OR den Umgang des Arbeitgebers mit Daten über den Arbeitnehmer regeln: der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer Einsicht in die ihn betreffenden Daten gewähren und darf nur mit dessen Zustimmung (bzw. unter gesetzlicher Vorschrift) personenbezogene Auskünfte erteilen. Allerdings wird meines Erachtens erst die Praxis zeigen, ob diese Regelung sich wirklich zum letztlichen Vorteil des Arbeitnehmers auswirkt. Schwer durchzusetzen dürfte die Vorschrift sein, dass der Arbeitgeber Daten über den Arbeitnehmer nur insoweit bearbeiten darf, als sie sich auf das jeweilige Arbeitsverhältnis beziehen. Dem Nichtjuristen bleibt unklar, ob die Verbandsklage (Art. 38 des Entwurfs) auf gesetzeswidrige Bearbeitung von Datensammlungen begrenzt bleibt, oder ob sie sich auch auf Art. 328 b OR erstrecken wird.

Insgesamt muss man dem Gesetzesentwerfer gratulieren, dass er die aktuelle Datenschutz-Diskussion, die wegen der elektronischen Hilfsmittel entbrannt ist, zum Anlass eines gründlicheren ]berdenkens des Umgangs mit personenbezogenen Daten überhaupt gemacht und dabei einen ethisch hochachtbaren Standpunkt eingenommen hat.

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